Das kennen Sie vielleicht auch: Stress als Dauerzustand. Man hat kaum Zeit, alles Wichtige und Dringende zu erledigen, geschweige denn, etwas Erbauendes oder Kreatives zu tun. Momente der Stille fehlen ganz.
Man arbeitet, so gut es geht, die Berge an Verpflichtungen ab und kommt nicht dazu, etwas zu machen, das einem einfach nur Spaß macht.
Ersehnte innere Ruhe
Doch der große Einsatz führt irgendwie nicht zur ersehnten inneren Ruhe. Kaum sind einige Punkte auf der Aufgabenliste erledigt, kommen ja schon wieder neue hinzu.
Man hat ständig das Gefühl, dass es immer noch nicht genug ist, was man schafft. Was kann man in einer solchen Lage tun? Wo könnte ein Ausweg sein?
Auch mir ging es vor längerer Zeit so. Neben vielen, an sich schon anspruchsvollen Aufgaben, arbeitete ich zusätzlich in einem umfangreichen Projekt. Der Arbeitsaufwand stieg dabei ständig und meist unvorhersehbar stark. Außerdem war der Anteil an bürokratischer Arbeit sehr hoch. Im Gegensatz zur Arbeit mit Klienten, die mir Sinn und Erfüllung gibt, raubt mir solche Arbeit auf Dauer die Kraft.
Achtsamkeit – das auch noch?
Am Anfang kam ich mithilfe meiner bewährten Entspannungstechniken noch gut damit klar. Doch je mehr meine freie Zeit gegen Null schrumpfte und meine Aufgabenlisten explodierten, schien immer weniger davon zu helfen. Zudem war ich irgendwann zu müde, um auch noch Ausgeichsübungen zu praktizieren.
Ich gab mein Bestes, doch die Last der Arbeit wuchs weiter an. Ich fühlte mich mit der Zeit wie ausgeliefert und hatte keine Kraft, noch irgendwas anderes zu machen als zu funktionieren.
Zusätzlich begann mich auch noch die Frage zu quälen, wie es meinen Klienten gelingen soll, aus ähnlichen Stress-Situationen herauszukommen, wenn ich es nicht schaffte. Ich vermittle ihnen schließlich Techniken, deren positive Wirkung ich doch kenne.
Die inneren Signale ernst nehmen
An einem Sonntag-Vormittag passierte dann etwas Unerwartetes mit mir. Anders als sonst, setzte ich mich nach dem Frühstück nicht an den Schreibtisch, um all das Dringende zu erledigen, was noch liegen geblieben war. Ich konnte es einfach nicht mehr.
Diesmal riss ich mich aber nicht zusammen, sondern ließ meine Schwäche und Unlust zu. Das klingt einfach, doch zu diesem Schritt hatte mir bisher der Mut gefehlt. Die Sorge, dass dann Schlimmes passiert und irgendwie alles zusammenbricht, war vorher zu groß gewesen.
Doch da wurde mir klar, dass wahrscheinlich ich selbst zusammenbrechen würde, wenn ich wieder am Wochenende meine unerledigte Liste abarbeite. An ihrer Länge würde sich dadurch ja nichts Grundsätzliches ändern.
Geräusche bewusst wahrnehmen
Nach dem Frühstück fuhr ich daher raus aus der Stadt, um durchzuatmen. Ich lief auf einem Weg am Waldrand. Es war eine rhythmische Bewegung; ein Schritt nach dem anderen.
Da bemerkte ich auf einmal das Geräusch meines Atems. Wie das? Wie oft hatte ich in letzter Zeit versucht, zu meditieren und konnte mich nicht auf meinen Atem konzentrieren. Nun stellte sich Achtsamkeit wie von selbst ein.
Ich wurde dabei noch vieler anderer Geräusche gewahr: Etwas raschelte kurz im Unterholz, bald danach krähte irgendwo ein Hahn, später war der Flügelschlag eines auffliegenden Vogels zu hören. Es gab nahe Geräusche, wie das Summen von Insekten, das Knarzen von Rindenstückchen unter meinen Schritten und der Wind an meinem Ohr.
Und es gab ferne Geräusche, wie ein paar Stimmen am anderen Hang, das Zuschlagen einer Autotür oder das Motorengeräusch eines am Himmel nahenden und sich entfernenden Flugzeugs. Es waren keine störenden Geräusche, sondern einfach nur Geräusche in der Stille. Es war mir, als ob die Stille einen Klang hat.
Stille Zwischenräume erkennen
Je mehr ich lauschte, wie diese Geräusche auftauchten und verschwanden, umso mehr bemerkte ich die Stille dazwischen. Die Geräusche kamen aus der Stille und gingen in die Stille zurück. Ohne die Geräusche hätte ich die stillen Zwischenräume nicht wahrnehmen können.
Gleichzeitig fiel mir auf, dass auch Gedanken an das umfangreiche Projekt in mir hochkamen. Interessant dabei war die Beobachtung, dass sie auch wieder verschwanden. Sie waren wie die Geräusche um mich herum! Wenn ich nicht an einem Gedanken festhielt, verflüchtigte er sich wieder. So wie der Ruf eines Vogels sich verflüchtigt, nachdem er eben noch zu hören war.
Ich blieb mit dieser Erkenntnis erstaunt stehen und horchte nach innen. Da war jetzt Ruhe. In meinem Inneren plapperte nichts mehr. Ich war davon so ergriffen, dass ich eine ganze Weile nur dastand in dieser Stille.
Aus der Stille kommen Kraft und Fülle
Erfrischt und beseelt kam ich nach Hause. Ich beschloss, mich noch eine überschaubare Stunde lang an den Schreibtisch zu setzen. Dadurch konnte ich erledigen, was sich nicht aufschieben ließ, da am nächsten Morgen Entscheidungen erwartet wurden.
Erstaunlich dabei war, dass ich dabei entspannt, zufrieden und vollkommen konzentriert war. Danach konnte ich einen freien Sonntag genießen. Und auch die kommende Woche verlief anders als die vielen vorangegangenen. Ich hatte jetzt Schwung und Kraft und das ganz ohne Anstrengung.
Was ist der Schlüssel? Was kann man machen, wenn man im Gedankenkarussell verfangen ist? Das beschreiben ich im Beitrag Ein kurzer Weg zu innerer Stille.
Dipl.-Psych. Anna-Maria Steyer, Beraterin, Trainerin und Supervisorin inspiriert ihre Klienten und Kunden, innere Leichtigkeit wiederzuentdecken und kraftvolle Lösungen in schwierigen Situationen zu finden